Wie komme ich zu meinem Recht? – Richtige Anträge und Rechtsbegehren

Von: Tarkan Göksu, Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Erbrecht, Lehrbeauftragter Universität Freiburg

Zusammenfassung: Der familienrechtliche Prozess wird – wie jeder andere Zivilprozess – grundsätzlich von der Dispositionsmaxime beherrscht. Dies gilt insbesondere für den Ehegattenunterhalt und die güterrechtliche Auseinandersetzung. Was in diesem Zusammenhang nicht verlangt wird, darf nicht zugesprochen werden; wenn zu wenig oder das Falsche verlangt wird, geht der materiellrechtliche Anspruch grundsätzlich verloren; vorbehalten bleibt die anwaltliche Haftung.

Gerade bei verzwickten Sachverhaltskonstellationen ist daher die Anwaltschaft angesichts der Dispositionsmaxime stark gefordert. Es ist in Szenarien zu denken und zu prüfen, welche materiellrechtlichen Ansprüche allenfalls bestehen (z.B. höherer Ehegattenunterhalt, wenn Kindesunterhalt tiefer ausfällt, Entschädigungsforderung, wenn Zuweisung der Familienwohnung verweigert wird), sofern die Anträge nicht durchdringen; gegebenenfalls sind Eventualbegehren zu stellen.

Können Rechtsbegehren nicht in der genügend genauen Bestimmtheit gestellt werden, weil dies bei Prozessbeginn unzumutbar oder unmöglich ist, können unbezifferte Begehren gestellt werden (Art. 85 Abs. 1 ZPO). Allenfalls ist dies mit Auskunftsbegehren (Art. 170 ZGB) zu verbinden (sog. Stufenklage). Nach Erteilung der Auskunft bzw. Abschluss des Beweisverfahrens ist die genaue Bezifferung der Rechtsbegehren nachzuholen (Art. 85 Abs. 2 ZPO).

Wo dagegen die Offizialmaxime gilt und somit bei allen Kinderbelangen sowie bei der beruflichen Vorsorge, bestehen diese prozessualen Lasten nicht. Das Gericht ist an die Parteianträge nicht gebunden, kann mehr oder etwas völlig anderes zusprechen, als beantragt wurde, und hat selbst dann den materiellrechtlichen Anspruch zu gewähren, wenn überhaupt keine Anträge von keiner Seite gestellt wurden.


In: Der Familienprozess: Beweis – Strategie – Durchsetzung, Alexandra Jungo und Christiana Fountoulakis, 2020, S. 77 ff.