Das Kind im Unterhaltsprozess – Betreuungs- und Volljährigenunterhalt

Von: Cordula Lötscher, Dr. iur., Advokatin, n.a. Bundesrichterin und Appellationsrichterin (BS), Lehrbeauftragte Universität Basel

Zusammenfassung: Die prozessuale Stellung des Kindes im Unterhaltsprozess unterscheidet sich grundsätzlich danach, ob seine Eltern verheiratet oder unverheiratet sind. Bei verheirateten Eltern werden Unterhaltsprozesse normalerweise im Rahmen eines Elternverfahrens (insb. Eheschutz, Scheidung) geführt. Parteien dieser Verfahren sind die Eltern; das Kind hat keine Parteistellung. Der Unterhaltsanspruch des Kindes wird durch den sorgeberechtigten Elternteil im eigenen Namen in Prozessstandschaft geltend gemacht. Für Abänderungsklagen besteht jedenfalls die Möglichkeit der Prozessstandschaft der Eltern und nach umstrittener Ansicht auch eine parallele Prozessführungsbefugnis des Kindes selbst.

Bei unverheirateten Eltern besteht freie Wahl für die Vorgehensweise: Eine selbständige Unterhaltsklage kann entweder durch den gesetzlichen Vertreter im Namen des Kindes (Parteien sind das Kind und der unterhaltspflichtige Elternteil) oder durch den sorgeberechtigen Elternteil im eigenen Namen (Prozessstandschaft; Parteien sind die beiden Eltern) geltend gemacht werden.

Dem Kind kommen Verfahrensrechte zu, die nicht von seiner Stellung im Prozess abhängen: Das Recht auf Kindesanhörung gemäss Art. 298 ZPO und das Recht auf Eröffnung des Entscheids nach Vollendung des 14. Altersjahrs. Es besteht eine geteilte Zuständigkeit zur Wahrung der Kindesinteressen während der Unmündigkeit: Zuständig sind die gesetzlichen Vertreter (Elternteil mit elterlicher Sorge oder Beistand), das Gericht im Rahmen der Untersuchungs- und Offizialmaxime, in beschränkter Weise das Kind selbst und allenfalls die Kindesvertretung gem. Art. 299 f. ZPO, wobei deren Rolle im Prozess umstritten ist.

Bei streitigen Unterhaltsansprüchen von Kindern unverheirateter Eltern sieht das Gesetz eine Kompetenzattraktion zugunsten des Gerichts vor. Das Gericht wird anstelle der KESB zuständig auch zur Regelung der weiteren Kinderbelange. Da eine Unterhaltklage bei unverheirateten Eltern auch durch den gesetzlichen Vertreter im Namen des Kindes eingereicht werden kann, sind häufig nicht beide Elternteile am Verfahren beteiligt. Dies verunmöglicht aber einen Entscheid über die weiteren Kinderbelange. Entsprechendes gilt bei der Vaterschaftsklage aufgrund Art. 298c ZGB. Der fehlende Elternteil muss in das Verfahren einbezogen werden; die ZPO stellt nur unzulängliche Mittel zur Verfügung.

Das Vorliegen einer Interessenkollision beim prozessführenden Elternteil ist m.E. konkret und nicht abstrakt zu beurteilen.

Der Betreuungsunterhalt führt nicht per se zu einer Interessenkollision des betreuenden Elternteils, die dessen Prozessführung im Interesse des Kindes ausschliessen würde. Fälle, in denen eine die Prozessführung hindernde Interessenkollision vorliegt, sind aber denkbar. Die gegebenenfalls hohen finanziellen Eigeninteressen der Eltern sind durch das Gericht insbesondere bei der Entscheidung über die Anordnung einer Kindesvertretung zu berücksichtigen.
Noch ungeklärte Fragen stellen sich in Bezug auf die Befugnis zu Prozessführung im Interesse des Kindes bei gemeinsamer elterlicher Sorge und alternierenden Betreuungsmodellen resp. Geteilter Obhut.

Ab Eintritt der Volljährigkeit hat das Kind seinen Unterhaltsanspruch gemäss Bundesgericht selbst geltend zu machen und durchzusetzen. Das volljährige Kind tritt in Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren selbst als Partei auf. Die Anwendbarkeit der Schutzbestimmungen von Art. 295 f. ZPO auf selbständige Unterhaltsklagen des volljährigen Kindes ist zu befürworten. Als selbständige Unterhaltsklagen sollten auch Klagen des volljährigen Kindes gelten, mit denen das Kind die Abänderung eines im Scheidungsurteil festgesetzten Unterhaltsbeitrags verlangen.


In: Der Familienprozess: Beweis – Strategie – Durchsetzung, Alexandra Jungo und Christiana Fountoulakis, 2020, S. 103 ff.