Schwellenalter für Kindesanhörung

(Art. 273 ZGB): 5C.209/2005 

Bundesgerichtsentscheid vom 23. September 2005

Das Bundesgericht präzisiert einen älteren Entscheid, der festhält, dass die Kinderanhörung grundsätzlich ab dem vollendeten sechsten Altersjahr möglich ist.

Dieses Schwellenalter, ab dem eine Anhörung grundsätzlich in Frage kommt, sei zu unterscheiden von der kinderpsychologischen Erkenntnis, dass formallogische Denkoperationen erst ab ungefähr elf bis dreizehn Jahren möglich seien und auch die sprachliche Differenzierungs- und Abstraktionsfähigkeit erst ab diesem Alter entwickelt sei. Nach Ansicht des Bundesgerichts geht es bei der Kinderanhörung einzig darum, dass sich das urteilende Gericht ein persönliches Bild machen kann und über ein zusätzliches Element bei der Sachverhaltsfeststellung und Entscheidfindung verfügt. Soweit jedoch das Kind seinen Anspruch nicht selbst wahrnehmen kann, setzt seine Anhörung einen entsprechenden Antrag einer Verfahrenspartei voraus; diesfalls ist das Gericht zur Anhörung verpflichtet, weil sie als Pflichtrecht ausgestaltet ist.

Im konkreten Fall konnte das sechsjährige Kind seinen Anspruch auf Anhörung noch nicht selbst wahrnehmen. Da der Berufungskläger auch keinen Antrag auf dessen Anhörung gestellt hat, durfte das Obergericht nach dem Gesagten ohne Verletzung von Bundesrecht von einer Anhörung absehen.