Vaterschaft auf dem Prüfstand - Das Recht des Ehemannes auf Kenntnis der eigenen Vaterschaft im Zeitalter der Genetik

Von: Monika Pfaffinger, Ass.-Prof. Dr. iur., Assistenzprofessorin für Privatrecht mit Schwerpunkt ZGB an der Universität Luzern und Vizepräsidentin der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF)

Stichwörter: Familienrecht, Familienverfahrensrecht, Persönlichkeitsrecht, Einleitungstitel des ZGB; Recht auf Kenntnis der genetischen Vaterschaft des Ehemannes; Vaterschaftsvermutung und Anfechtung; Beweisrecht; Wiederherstellung Anfechtungsfristen aus wichtigen Gründen; Einheitsfamilie und Institutionenschutz; Prozessrecht: Berufungsverfahren, Klageänderung, Feststellungsklage; Bedeutung soziale und genetische Vaterschaft im Familienrecht; Auswirkungen des gerichtlich anerkannten Rechts auf Kenntnis der genetischen Vaterschaft auf das Familienrecht

Zusammenfassung: Der Beitrag befasst sich mit dem Entscheid des Obergerichts Luzern, das als erstes Schweizer Gericht einem Mann das Recht gab, zu wissen, ob er der leibliche Vater sei – und zwar, nachdem er seine rechtliche Vaterschaft kraft Ehe erfolglos angefochten hatte. Analysiert werden die Auswirkungen der Anerkennung dieses persönlichkeitsrechtlich begründeten Anspruchs auf Kenntnis der genetischen Vaterschaft auf das Schweizer Familienrecht. Hierfür werden das beweisrechtliche sowie das institutionelle Gesicht der Vaterschaftsvermutung und ihrer Anfechtung sowie deren biologische Verwurzelung herausgearbeitet. Anhand von Art. 252 ff. ZGB wird gezeigt, wie das System die Kongruenz von Ehe, Biologie und Beziehung oder ihren Schein als Familienideal schützt. Ein Blick auf die prozessualen Schwachstellen des Urteils führt die grundlegende Bedeutungsdimension des materiell-rechtlichen Entscheides vor Augen. Die Kernaussage der abgewiesenen Vaterschaftsanfechtung wegen Fristablauf unter gleichzeitiger Anerkennung eines Rechts auf Wissen um die genetische Vaterschaft lautet in andere Worte gegossen: «Selbst wenn Du nicht der leibliche Vater bist, Du bleibst der rechtliche Vater.» Damit präsentiert sich die paradoxe Situation, dass gerade die Anerkennung eines Rechts auf Kenntnis der genetischen Vaterschaft ausserhalb der Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft das Biologische Fundament des Schweizer Abstammungsrechts untergräbt. Rechtliche Vaterschaft ist keineswegs identisch mit genetischer Vaterschaft. Vielmehr stärkt die Abspaltung des Rechts auf genetisches Wissen vom rechtlichen Vaterstatus die soziale


FamPra 3/2014 Seite 604 ff.

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